Grillparzer

Grillparzer
Grịllparzer,
 
Franz, österreichischer Dichter, * Wien 15. 1. 1791, ✝ ebenda 21. 1. 1872, Sohn eines Advokaten; studierte 1804-11 Philosophie und Jura in Wien. Nach dem Tod des Vaters (1809) trug er durch Hauslehrertätigkeit zum Lebensunterhalt der Familie bei. Ab 1813 im Staatsdienst, wo er dann als Beamter im Finanzministerium tätig war (1832 Archivdirektor, 1856 als Hofrat pensioniert). In J. P. Graf von Stadion fand er einen Förderer, der zweifellos 1818 zu Grillparzers Ernennung zum Theaterdichter des Wiener Burgtheaters beitrug. Nach dem Selbstmord der Mutter (1819) suchte er Ablenkung und geistige Beruhigung auf einer Italienreise. 1821 lernte er Katharina Fröhlich kennen, mit der er zeitlebens verlobt blieb. In Wien verkehrte Grillparzer u. a. mit F. Raimund, E. von Feuchtersleben und L. van Beethoven (dem er die Grabrede hielt); Freundschaft verband ihn mit A. Stifter. War er auch bereits gefeierter Klassiker der österreichischen Literatur, so lastete doch der Druck der Zensur während des Vormärz auf Grillparzer, sodass er 1826 eine Reise durch Deutschland unternahm, auf der er u. a. L. Tieck, F. de la Motte Fouqué, A. von Chamisso, Rahel Varnhagen von Ense, G. W. F. Hegel und Goethe kennen lernte. 1836 bereiste er England und Frankreich, in Paris traf er H. Heine und L. Börne. 1843 besuchte er Griechenland und die Türkei, 1847 noch einmal Deutschland, wo er in Stuttgart mit L. Uhland und G. Schwab zusammenkam. Verbitterung nach dem Misserfolg seines Lustspiels »Weh' dem, der lügt!« (Uraufführung 1838, gedruckt 1840) führte zum Rückzug aus der Öffentlichkeit. Nach 1850 machten H. Laubes Inszenierungen Grillparzer erneut berühmt. Zahlreiche Ehrungen wurden ihm zuteil, u. a. die Aufnahme in die Wiener Akademie der Wissenschaften (1847) und in das österreichische Herrenhaus (1861).
 
Grillparzer begann sein dramatisches Werk unter dem Einfluss Schillers und Z. Werners mit der Tragödie »Blanka von Kastilien« (entstanden 1808/09, Uraufführung 1958). Der Bekanntschaft mit J. Schreyvogel, dem Dramaturgen des Wiener Burgtheaters, verdankte Grillparzer seine ersten Erfolge. In der Tragödie »Die Ahnfrau« (1817) gestaltete er in der Nachfolge des schillerschen Trauerspiels »Die Braut von Messina«, des englischen Schauerromans und des romantischen Schicksaldramas das Schicksal als determinierende Macht, die ein ganzes Geschlecht einem unverschuldeten Fluch ausliefert. Mit dem Trauerspiel »Sappho« (1819) knüpfte er in Form und Sprache an Goethes »Iphigenie« und »Torquato Tasso« an und thematisierte den resignierend erlebten Konflikt zwischen Kunst und Leben. Nach der Dramentrilogie »Das goldene Vließ« (»Der Gastfreund«, »Die Argonauten«, »Medea«, 1822), die den antiken Stoff aufnimmt, wandte sich Grillparzer mit »König Ottokar's Glück und Ende« (1825) der Geschichte der Habsburger zu: dem machtbesessenen Ottokar stellt er in Rudolf von Habsburg das von der Person losgelöste Kaisertum als Verkörperung des Rechtmäßigen entgegen. In dem Trauerspiel »Ein treuer Diener seines Herrn« (1830) ging es Grillparzer um den »Heroismus der Pflichttreue«, nicht aber um die Apologie knechtischer Unterwürfigkeit. Die Sage von Hero und Leander, das Thema der Liebe als Lebensüberschwang und Todesdrohung zugleich, liegt dem lyrischen Trauerspiel »Des Meeres und der Liebe Wellen« (Uraufführung 1831, gedruckt 1840) zugrunde, in dem Grillparzers Sprachmusikalität am reinsten zum Ausdruck kommt. Die zunehmende Beschäftigung mit der spanischen Literatur (P. Calderón de la Barca, Lope de Vega) fand ihren Niederschlag in dem dramatischen Märchen »Der Traum ein Leben« (Uraufführung 1834, gedruckt 1840). Der Chronik Gregors von Tours entnahm er den Stoff zu seinem einzigen Lustspiel »Weh' dem, der lügt!«, in dem der Anspruch auf absolute Wahrheit als nicht erfüllbar erscheint. Vor 1848 vollendete er »Libussa« (gedruckt 1872; am altböhmischen Libussa-Stoff erörtert er den Gegensatz zwischen friedlicher Gemeinschaft und einer durch Machtausübung bestimmten Ordnung), in den 1850er-Jahren »Die Jüdin von Toledo« (gedruckt 1873; Sieg der Staatsräson über die Leidenschaft). In dieser Zeit entstand auch sein ideelles Vermächtnis »Ein Bruderzwist in Habsburg« (gedruckt 1872): Rudolf II., an einer geschichtlichen Wende angesiedelt, will eine schon auseinander strebende Welt durch Nichthandeln bewahren, hält an der Utopie einer Friedensordnung fest und begünstigt gerade dadurch die Heraufkunft der verworrenen neuen Zeit.
 
In Grillparzers Lyrik (»Tristia ex Ponto«, 1835 im Taschenbuch »Vesta«; Epigramme) überwiegt ein rational-reflektierender Ton. Das Erzählwerk beschränkt sich auf zwei Novellen: das romantisierende Nachtstück »Das Kloster von Sendomir« (1828, dramatisiert von G. Hauptmann als »Elsa«) und die autobiographisch getönte Erzählung »Der arme Spielmann« (1847, in: »Iris. Deutscher Almanach für 1848«). Als bedeutendster österreichischer Dramatiker vereinigte er in seiner Dichtung Elemente des spanischen und österreichischen Barock, der deutschen Klassik und des Wiener Volkstheaters mit einer spezifisch modernen Sensibilität und einem hellsichtigen, differenzierten psychologischen Realismus, der der humanen Harmonie der deutschen Klassik skeptisch begegnete. Besonders Grillparzers »Selbstbiographie« und seine »Briefe und Tagebücher« (herausgegeben 1903, 2 Bände) weisen bereits auf die österreichische Dichtkunst um 1900. Grillparzers lebenslange Loyalität zur Dynastie basierte nicht zuletzt auf seinem Bekenntnis zu Österreich, das für ihn durch das Haus Habsburg verkörpert wurde. In zahlreichen Epigrammen hat Grillparzer die geistige und politische Entwicklung seiner Zeit in häufig bissig-sarkastischem Witz, der zugleich von tiefem Pessimismus geprägt war, gegeißelt. Er sah die Auflösung der alten Ordnungen und betrachtete mit Missfallen die überall in Europa aufkommenden und das Habsburgerreich besonders betreffenden nationalen Bestrebungen, die er als einen Prozess begriff, der »Von Humanität/Durch Nationalität/Zur Bestialität« führt.
 
Ausgaben: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, herausgegeben von A. Sauer und anderen, 42 Bände (1909-48, Nachdruck 1972); Sämtliche Werke, ausgewählte Briefe, herausgegeben von P. Frank und anderen, 4 Bände (1-21964-70); F. Grillparzer, herausgegeben von K. Pörnbacher (1970); Werke, Nachwort von J. Kleinstück, 3 Bände (1971); Werke, herausgegeben von H. Bachmaier, auf 6 Bände berechnet (1986 folgende).
 
 
Jb. der G.-Gesellschaft (Wien 1891 ff.);
 E. Alker: G. (1930, Nachdr. New York 1968);
 G. Baumann: F. G. (1966);
 G. Baumann: Zu F. G. (1969);
 W. Naumann: F. G. (21967);
 J. Kaiser: G.s dramat. Stil (21969);
 H. Pollitzer: F. G. oder Das abgründige Biedermeier (1972);
 A. Viviani: G.-Komm., 2 Bde. (1972-73);
 F. Kainz: G. als Denker (Wien 1975);
 Z. Škreb: G. (1976);
 D. C. G. Lorenz: G., Dichter des sozialen Konflikts (Wien 1986);
 
Zw. Weimar u. Wien. G. Ein Innsbrucker Symposium, hg. v. S. Klettenhammer (Innsbruck 1992);
 
F. G. Historie u. Gegenwärtigkeit, hg. v. G. Neumann u. G. Schnitzler (1994).
 

Universal-Lexikon. 2012.

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